Frieden ist im Kleinen wie im Großen das Ideal kultureller Kompetenz.
Wie es gelingen kann, kulturelle Kompetenz zu entwickeln, statt kultureller Gewohnheiten.
Kultur ist ein facettenreiches organisches System des Miteinanders, das erlernt und gebildet wird in der Familie, im häuslichen Umfeld, in der Schule, in Peergroups et cetera. Was in der Schule gelebt und betrachtet wird, prägt auch eine Gesellschaft. Wer nur Pflichterfüllung fordert, begünstigt autoritäre Strukturen. Dass wir uns für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft einsetzen, muss sich auch in der Schule widerspiegeln. Und zwar nicht allein durch die Besprechung des Grundgesetzes im Unterricht. Die Werte des Grundgesetzes müssen in der Schule erfahrbar sein, und diese Erfahrungen müssen immer wieder Gegenstand der Reflexion werden. Wenn wir in der Schule Verantwortung für demokratische und freiheitliche Prinzipien kultivieren und reflektieren, wächst auch das Wissen über Werte, die es zu bewahren gilt, und kulturelle Kompetenz.
Wir müssen uns davon verabschieden, dass Entwicklungsprozesse unmittelbar zu steuern sind. Allerdings kann völliger Verzicht im Sinne von Laissez-faire nicht die Alternative sein. Die Lösung liegt in der aktiven Prozessgestaltung, dem Entwickeln von Gelingens-Bedingungen und einem organischen System- und Prozessverständnis.
Aktive Prozessgestaltung heißt, vom Entweder-oder zum Sowohl-als-auch zu gelangen. Es geht immer um Vielfalt und Wesentliches, um Verantwortung und Gemeinschaft. Selbst das häufig zitierte afrikanische Sprichwort »Für die Erziehung eines Kindes braucht es ein ganzes Dorf« muss in einen größeren Kontext gestellt werden. Es zeigt zum einen den Kern von Bildung und Erziehung, zum andern aber auch, dass in vielen Dörfern der Welt Gewalt, Missbrauch, Demütigung und Unterdrückung herrschen. Es zeigt uns, dass kulturelle Bildung im Sinne von »Wie gehen wir miteinander um und wie gestalten wir die Welt?« zentrale, wenn nicht sogar die zentralen Elemente des Bildungsauftrags von Schulen sind.
Es gilt, kulturelle Kompetenz statt kultureller Gewohnheiten zu entwickeln. Kulturelle Gewohnheiten kennzeichnen übernommene Regeln und Verhaltensweisen des menschlichen Miteinanders und der Beziehung zur Umwelt. Kulturelle Kompetenz beinhaltet die reflektierte und multiperspektivische Betrachtung von kulturellen Gewohnheiten sowie die aktive Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens, Zusammenwirkens und der Umwelt unter einem gemeinsamen Wertegefüge. Dieses Wertegefüge weiß in hohem Maße die Würde des Menschen und des Lebens, Kultur, Natur und Diversität zu schätzen und muss der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) als Grundlage eines unter den Völkern der Welt vereinbarten Wertekanons genügen. Dass viele Staaten diese gemeinsame Erklärung unzureichend umsetzen, ist kein Argument gegen die Erklärung, sondern zeigt, dass ein entschiedenes Eintreten für menschliche und kulturelle Grundwerte erforderlich ist.
Kulturelle Kompetenz wächst mit der Partizipation
Personen und Gemeinschaften bilden sich und müssen auch gebildet werden. Sie haben gemeinsame Werte, teilen gemeinschaftliches Wissen und handeln verantwortungsvoll, wenn sie es gelernt haben. Ich-Stärke und Gemeinsinn sind dabei keine Gegensätze, sondern Herausforderungen und Anlass für gemeinschaftliches Wachsen. Kulturelle Kompetenz ist zur Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit unerlässlich. Dazu gehören die aktive Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens und -wirkens wie auch der Wechselbeziehungen mit der Umwelt unter einem gemeinsamen Wertegefüge.
Einen einheitlichen Wissenskanon für alle Schülerinnen und Schüler können Schulen nicht vermitteln. Denn Lernen ist ein natürlicher, individueller und gemeinschaftlicher Prozess, der abhängig ist von Neigungen, Fähigkeiten, Interessen, Erfolgen, Erfahrungen, der Umgebung des Lernens und der Begleitung. Insbesondere, wie wir etwas machen, ist entscheidend für das, was gelernt wird.
Das »Wie etwas gemacht wird« hat nicht nur eine didaktisch mittelbare Wirkung auf das Erreichen vorgesehener Lernziele, sondern auch eine pädagogisch unmittelbare Wirkung auf das Selbstbild und Selbstkonzept der Schülerinnen und Schüler.
„Unser Selbst ist eine Komposition aus vielen Themen und Melodien. Es ist mit den in unserem Kulturraum lebenden Menschen verbunden. Die in uns hineingegebenen Themen und Melodien tragen den Fingerabdruck der Kultur, in der wir leben. Unser Selbst ist immer auch ein Wir.“
Joachim Bauer (2022, S. 208)
Durch die Fokussierung der Schule auf Ausbildung wird häufig Wesentliches vernachlässigt. Bildung ist ein subjektives Bedürfnis und als solches wesentlich, Ausbildung ist es nur dann, wenn ihr ein persönlicher Wert beigemessen wird. Die von Schülerinnen und Schülern häufig gestellte Frage »Wofür brauchen wir das?« ist ein Indikator für den fehlenden subjektiven Wert: Sie erleben Inhalte als unwesentlich und sich selbst als Objekte. In diesem Zusammenhang benötigt die Bewertung von Störungen ein Reframing, denn sie lässt sich auch als eine Form des Jugendprotests verstehen. Was wir in der Schule erfahren und fürs Leben lernen, ist ein wesentlicher Teil der Bildung unserer kulturellen Kompetenz.
Das gewünschte kulturelle Miteinander muss sich in der Schule abbilden, damit es erlernt werden kann. Es ist prägend für die Person wie auch in der Folge für Politik und Gesellschaft.